Organisierte Kriminalität "Müssen diese neuen syrischen kriminellen Clans stärker in den Blick nehmen"

Von Kristian Frigelj
Korrespondent

Veröffentlicht am 10.07.2023 | Lesedauer: 5 Minuten

Die Gewalt im Ruhrgebiet wirft ein Schlaglicht darauf, dass Syrer ihre Rolle als Mitläufer und Boten im Clan-Milieu ablegen. Der Chef der NRW-Polizeigewerkschaft warnt: Durch Familienzusammenführungen seien "ganze Dorfgemeinschaften" ins Land gekommen, die deutsche Gesetze nicht anerkennen.

Dezember 2022, Solingen: Polizisten führen bei einer Razzia gegen kriminelle Clans einen Verdächtigen ab. Inzwischen sind in dem Milieu verstärkt Syrer unterwegs
Quelle: picture alliance/dpa

Die Polizei hat ihre Präsenz im Ruhrgebiet verstärkt. Seit den Tumulten in Castrop-Rauxel und Essen zwischen bewaffneten Angehörigen krimineller Clans vor drei Wochen sind die Sicherheitsbehörden noch wachsamer und schicken häufiger als sonst Streifen durch die Straßen auf der Suche nach auffälligen Personenansammlungen.

Solche Massenschlägereien verfeindeter Gruppen kommen in größeren unregelmäßigen Abständen immer wieder vor. Doch dieses Mal hatte es eine neue Qualität - weil sich die Wut zwischen Libanesen und Syrern entlud.

Schon seit einiger Zeit sind in den Milieus, die vor allem libanesisch-türkische Clan-Kriminelle dominieren, auch Syrer unterwegs. Im Lagebild 2021 des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen rangierten Tatverdächtige mit syrischer Abstammung an dritter Stelle hinter Deutschen und Libanesen. Bisher galten syrische Täter eher als Mitläufer und Boten. Doch da scheint sich etwas zu ändern.

"Wir wissen, dass bei den jüngsten Auseinandersetzungen in Castrop-Rauxel und Essen nicht nur türkisch-arabischstämmige Personen, sondern auch Leute aus Syrien dabei waren. Deshalb schauen wir uns jetzt genau an, ob wir unser Lagebild Clan-Kriminalität an der Stelle erweitern müssen", sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) auf WELT-Anfrage.

Der Christdemokrat hat die Schwerpunktarbeit gegen Clan-Kriminalität 2017 eingeführt und sieht sich durch die jüngsten Vorfälle erneut bestätigt. Im Großraum zwischen Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg und Recklinghausen, wo sich viele Clan-Angehörige aufhalten, gibt es regelmäßig Kontrollen und Razzien mit einem Großaufgebot schwer bewaffneter Polizisten. Reul spricht von der "Strategie der tausend Nadelstiche", wobei selbst geringere Verstöße wie unversteuerter Tabak oder Hygienemängel in Shishabars und Restaurants der Clan-Szene geahndet werden.

Die öffentliche Straßenpräsenz der Clans ist nach Erfahrungen der Polizei geringer geworden und die Zahl der "Tumultdelikte" stark zurückgegangen. Doch das Problem ist noch lange nicht gelöst.

Hoher Aufwand für Sicherheitsbehörden

Denn der Aufwand ist gewaltig: Allein im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Castrop-Rauxel und Essen Mitte Juni waren nach einem Bericht des NRW-Innenministeriums mehr als 700 Polizisten im Einsatz. Zwei Verdächtige wurden vorläufig festgenommen, 41 Menschen kamen kurzfristig in Gewahrsam. Bei den Kontrollmaßnahmen wurden 462 Personen und 76 Fahrzeuge kontrolliert und 141 Gegenstände sichergestellt, darunter eine Maschinenpistole und 43 Messer.

Nach der Auseinandersetzung vor drei Wochen sollen sich Vertreter der beiden Konfliktgruppen in Duisburg getroffen und einen Friedensrichter eingeschaltet haben. Die Sicherheitsbehörden lehnen solche Vermittler ab, weil sie nach Einschätzung der Experten eine Paralleljustiz schaffen und das geltende Rechtssystem untergraben. "Dieser sogenannte Friedensschluss war eine Verhöhnung unseres Rechtsstaates", erklärt Erich Rettingshaus, NRW-Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, auf WELT-Anfrage. So etwas dürfe man sich nicht bieten lassen.

"Keiner traut sich im Libanon oder Syrien die Polizei zu ignorieren" Bei Massenschlägereien in Castrop-Rauxel und Essen in der vergangenen Woche sieht NRW-Innenminister Reul Zusammenhänge zur Clankriminalität. Der Integrations-Experte Ahmad Mansour erläutert im WELT-Studio Funktionsweisen patriarchalischer Familienstrukturen.
Quelle: WELT

"Wir müssen diese neuen syrischen kriminellen Clans stärker in den Blick nehmen, ebenso wie Kriminelle aus anderen Herkunftsstaaten", fordert Rettinghaus. Durch die Familienzusammenführung im Rahmen der Zuwanderung seien "ganze Dorfgemeinschaften" aus Syrien nach Deutschland gekommen. "Wir erleben, dass sich darunter auch Kriminelle befinden. Sie wollen den anderen Clans hier Konkurrenz machen." Rettinghaus kritisiert, dass sie hier viele Vorzüge und Freiheiten hätten, aber gleichzeitig den Rechtsstaat mit Füßen träten. "Sie leben in patriarchalen Familienstrukturen, in der nur das eigene Recht zählt. Diese Familien sind wie ein Kleinstaat. Dort werden die deutschen Gesetze nicht anerkannt."

In einem internen Bericht des Landeskriminalamtes wird davor gewarnt, dass trotz der beruhigten Lage "mit weiteren Auseinandersetzungen auch im öffentlichen Raum" zu rechnen sei. Es bestehe ein "grundsätzlicher Konflikt zwischen Personen aus den syrischen und libanesischen Familienverbünden", auch in Dortmund. Die "Rheinische Post" hatte zuerst über diese Analyse berichtet.

Demnach gibt es Erkenntnisse darüber, dass Mitglieder des syrischen Schleusernetzwerks "Al Sarawi", das auf dem Balkan aktiv ist, nach den ersten Auseinandersetzungen im Ruhrgebiet zu Racheaktionen aufgerufen haben. Das Netzwerk soll aus der ostsyrischen Stadt Deir ez-Zor stammen, ebenso wie die Großfamilie in Castrop-Rauxel. Zudem heizen offenbar Konflikte im Libanon die Stimmung in Deutschland auf, so die LKA-Analysten. Im April dieses Jahres habe die libanesische Armee mit Razzien gegen syrische Flüchtlinge begonnen, die für Probleme im Land verantwortlich gemacht würden.

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Im politischen Raum wird nun ein verstärkter Blick auch auf syrische Clan-Kriminelle gefordert. Das Lagebild Clan-Kriminalität enthält bereits Angaben zu syrischen Tatverdächtigen, doch das reicht nach Ansicht der Jungen Union NRW nicht aus. "Statt nur vereinzelte Täter mit syrischer Nationalität zu betrachten, muss das Lagebild explizit und systematisch syrische Großfamilien in den Fokus nehmen. Wir wissen viel über die Omeirats, Miris und Al-Zeins. Wir wissen zu wenig über vergleichbare Clans aus Syrien", so die CDU-Jugendorganisation.

Die Union stellte jüngst ein Zehn-Punkte-Programm für Deutschland vor. Dabei werden auch "Sofort-Ausweisungen" von ausländischen Clan-Mitgliedern erwähnt.

Das stößt zwar bei NRW-Innenminister Reul auf offene Ohren, zugleich weist er aber auf Herausforderungen in der Praxis hin: "Natürlich bin ich für die schnelle Abschiebung von Clan-Kriminellen, sofern sie keinen deutschen Pass haben - aber es muss auch in der Praxis umsetzbar sein. Da gibt es nach wie vor große Probleme, wenn zum Beispiel die Herkunft unklar ist, wenn Länder eine Aufnahme verweigern oder wenn es Abschiebestopps für bestimmte Länder gibt."

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